Sally Ollech gab beim Kongress der Sozialwirtschaft im Mai 2019 einen Fachimpuls zu Diversität – das sind ihre Kernbotschaften:
Diversity – das sind nicht Frauen und Behinderte, sondern das sind wir alle. Unsere Gesellschaft wird zunehmend bunter. Lebensmodelle und Bedürfnisse an die Arbeitswelt befinden sich im Wandel und die Anforderungen an Organisationen verändern sich.
Warum reden wir überhaupt über Diversity?
Eine große Herausforderung für Deutschland ist der demographische Wandel: Mehr Arbeitnehmende gehen in Rente, als neue in den Arbeitsmarkt eintreten und in einigen Branchen ist der Fachkräftemangel bereits heute spürbar. Ältere und jüngere Generationen haben unterschiedliche Einstellungen zur Arbeit. In einer global vernetzten, digitalen Wirtschaft nimmt die sprachliche und kulturelle Vielfalt ohnehin zu. Durch die Migration kommen Menschen aus anderen Kulturen, die anders aussehen und anders leben, zu uns und wir müssen uns aneinander gewöhnen. Tatsächlich hatte 2017 knapp jeder vierte in Deutschland lebende Mensch einen Migrationshintergrund – zwölf Jahre vorher war es noch ca. jeder sechste[i].
Auch die Lebensmodelle verändern sich. Bei unter 30-jährigen identifiziert sich jeder zehnte Mensch als homosexuell, bisexuell oder transgender (LGBT – lesbisch, gay/schwul, bisexuell, transgender)[ii]. Allerdings treten mehr als zwei Drittel der Homosexuellen nicht offen homosexuell im Berufsleben auf[iii]. Und auch bei heterosexuellen Paaren verändern sich die Lebensmodelle. Immer stärker übernehmen Männer Verantwortung in der Familienarbeit, was der Forderung nach Teilzeitarbeitsmodellen Nachdruck verleihen wird. In gewisser Weise ist Vielfalt also das neue Normal. Die Vielfalt ist vielerorts in unserer Gesellschaft bereits da. Doch ist sie in der Arbeitswelt und dort insbesondere auf den Führungsebenen bereits angekommen? Und kann sie ihr Potential in Organisation schon entfalten?
Studien belegen, dass gemischte Teams eine höhere kollektive Intelligenz haben, krisenresistenter und erfolgreicher sind[iv],[v],[vi],[vii]. Nichtsdestotrotz dauert das Umdenken in Organisationen lange. Wenn Vielfalt so toll ist, warum leben wir sie nicht einfach? Warum braucht es überhaupt ein Diversity Management zur Etablierung eines vielfältigen Umfelds? – Eine deutliche Antwort bietet der AllBright Bericht 2018, der den „Thomas-Kreislauf“ anschaulich darlegt: Gleich und Gleich rekrutiert sich immer noch gern, weil man zu wissen meint, woran man ist[viii]. Der Bericht aus dem Jahr 2018 belegt weiter: In deutschen Vorständen gibt es mehr Personen mit dem Namen Thomas oder Michael als Frauen. Von 100 Vorständen sind 93 männlich und 76 sind deutsch. Fazit: Von der Vielfalt in unserer Gesellschaft kommt in diesen Führungsetagen wenig an. Ein Grund liegt im Recruiting: Es ist zu beobachten, dass Menschen, die neue Stellen besetzen, sich gerne selbst reproduzieren. Und das ist gar nicht so einfach abzustellen. Man stellt jemanden ein, der einem ähnlich ist, denn man glaubt zu wissen, woran man ist. Dadurch wirft man das Netz aber nicht weit genug und schließt viele Menschen aus dem Pool der Bewerberinnen und Bewerber aus. Unbewusste Stereotypen und Denkmuster beeinflussen die Entscheidungsprozesse von Männern wie Frauen und haben Einfluss auf die Vielfalt in unserem organisationalen Umfeld – auch jenseits der Dimension des Geschlechts. Da jedoch mehr Männer in Entscheidungspositionen sind, werden auch mehr Männer reproduziert. Wenn wir die Diversität der Gesellschaft aber nicht in Organisation abbilden, verlieren wir potenziell gute Arbeitnehmer:innen, entweder weil sie gar nicht erst zu uns kommen oder weil sie irgendwann beruflich bei uns nicht weiterkommen und dann wechseln oder sich selbstständig machen. Wenn wir allerdings nicht-diverse, homogene Teams haben, werden wir gegebenenfalls unsere diverse Kund:innen-Basis nicht mehr verstehen und nur noch kleine Teile davon ansprechen können. Zudem können divers aufgestellte Teams besser auf die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Herausforderungen reagieren als homogene Gruppen, deren Perspektiven naturgemäß eingeengter sind. Aus diesen Gründen wird es eine zentrale Herausforderung von Organisationen sein, Diversität in ihrer Belegschaft zuzulassen und zu fördern.
Aber was genau meint Diversität nun?
Die Begriffe Diversität oder Diversity umfassen individuelle, soziale und strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen und Gruppen[ix]. Wenn man sich dem Thema Diversity Management annähert, können die seit 2006 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerten sechs Dimensionen eine erste Struktur und konkrete Ansatzpunkte geben: ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter sowie sexuelle Orientierung und Identität[x]. Eine weiterführende, umfassendere Systematisierungsform im Diversitäts-Management sind die „Four Layers of Diversity“[xi]. Sie unterscheiden im Kern die Persönlichkeit eines jeden Individuums und bauen auf den bereits aufgeführten inneren Diversity-Dimensionen auf. Ergänzend werden äußere, wie beispielsweise Familienstand und Ausbildung, sowie organisationale Dimensionen von Diversität, wie beispielsweise der Arbeitsort oder Arbeitsinhalte, aufgeführt (s. Abb. 1). Von innen nach außen gelesen nimmt in diesen vier Ebenen die Möglichkeit zu, auf die Diversitäts-Dimension Einfluss zu nehmen. Demnach können wir die inneren Dimensionen kaum beeinflussen, während wir die äußeren und organisationalen Zugehörigkeiten stärker bestimmen können.
Durch die Betrachtung der Diversity-Dimensionen entsteht allerdings schnell ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Dimensionen, anstatt Vielfalt in ihrer Mehrdimensionalität zu erkennen. Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt e.V., einer Arbeitgeberinitiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen, sagt hierzu: „Ich wünsche mir einen stärker verbreiteten ganzheitlichen Diversity-Ansatz. Wir müssen aufhören, in einzelnen Dimensionen zu denken. Es geht um die Leistung in einem vorurteilsfreien Arbeitsumfeld. Momentan geht es noch sehr viel um die Dimensionen. Sie machen sich untereinander Konkurrenz. Beispielsweise wird mal im Bereich Behinderung gesagt, für die Frauen werde mehr gemacht. Dabei hat ein Mensch mit Behinderung ja auch ein Geschlecht, ein Alter, eine sexuelle Orientierung.“[xii] Jede*r von uns bringt Mehrdimensionalität mit. Es geht weniger darum, Quoten zu erfüllen – wenngleich ein quantitatives Reporting natürlich dazugehört – sondern darum, dass unterschiedliche Menschen in den Organisationen wirklich mitreden und mitgestalten können. Diversity Management schafft den Rahmen, der alle wertschätzt, einbezieht und zu Wort kommen lässt. Die Dimensionen sind durchaus ein guter Einstieg, allerdings sollte man den Blick auch über die einzelnen Dimensionen hinaus auf die Frage richten, wie wir eine Kultur schaffen, die Diskriminierungen vermeidet und Vielfalt fördert.
Glaube nicht alles was Du denkst!
Tatsächlich ist Diskriminierung kein Thema, das nur kleine Randgruppen in unserer Gesellschaft betrifft. Jede*r dritte Deutsche hat sich in den letzten zwei Jahren diskriminiert gefühlt – die Hälfte davon im Arbeitsleben[xiii]. Und die Ergebnisse sogenannter impliziter Assoziationstests (IAT) zeigen sehr deutlich, dass eigentlich jede*r andere Menschen diskriminiert und zwar häufig unbewusst[xiv]: 76 % assoziieren Männer mehr mit „Karriere“ und Frauen mehr mit „Familie“, 70 % assoziieren Männer mit „Naturwissenschaft“ und Frauen mit „Kunst“, 75 % haben eine implizite Präferenz für weiße Menschen statt für Farbige und 76 % haben eine Präferenz für nicht-behinderte Menschen.
Diskriminierung fängt also nicht erst bei beispielsweise offenkundig rassistischen Äußerungen an. Im Berufsleben ist die Schwelle für Diskriminierung viel niedriger. Auch wenn wir selbst unsere unbewussten Assoziationen oft nicht bemerken, hat es für die Betroffenen eine hohe Bedeutung. Frauen, die Karriere machen wollen, wechseln dann vielleicht doch lieber den Arbeitgeber und suchen nach für sie angenehmeren Rahmenbedingungen – wenn sie es überhaupt ins Unternehmen schaffen. Denn: Eine Studie aus dem Jahr 1999 über identische Lebensläufe mit Frauen- versus Männernamen zeigt, dass Männer zu knapp 80 % und Frauen nur zu knapp 50 % eingestellt werden sollten – bis auf die Vornamen waren alle anderen Angaben identisch[xv]. Studien zeigen insgesamt: Häufig überschätzen wir die Leistungen von Männern im Gegensatz zu der Leistung von Frauen. Diese Diskriminierung von Frauen kann als Resultat gesehen werden, mit welchen Rollenbildern und Vorstellung wir aufgewachsen sind. Wie wir Männer und Frauen, Ausländer oder Behinderte sehen, beziehungsweise welche Rollenbilder wir seit Kindheitstagen von unserem Umfeld vermittelt bekommen haben. Einen Gegenimpuls kann jede*r setzen, indem man bei sich selbst beginnt und mit dem Motto „Glaube nicht alles was Du denkst!“ eigene Stereotypen hinterfragt.
Was bringt Diversity Management?
Ein wesentlicher Teil von Diversity Mangement besteht darin, uns unsere eigenen Urteile und Denkmuster bewusst zu machen – einmal einen Schritt zurückzugehen und uns zu fragen: Ist es vielleicht möglich, dass ich mich gerade von meinen Rollenbildern leiten lasse? Habe ich den gleichen Bewertungsmaßstab, den ich bei dieser Person anwende, auch bei dem deutschen, männlichen, hetero Familienvater angewandt? Bei diesen unbewussten Denkmustern oder Voreingenommenheiten spricht man auch von unconscious bias. Unconscious bias meint die unbewusste und damit extrem schnelle Kategorisierung von Menschen und Situationen und diese ist zentral für unsere Informationsverarbeitung. Sie führt in unserer immer komplexer werdenden (Arbeits-)Welt jedoch zu Fehleinschätzungen, zu unbewusster Diskriminierung und zum Übersehen von Potentialen und Talenten.
Es braucht ein bewusstes Gegensteuern und Verhaltensänderungen auf unterschiedlichen Ebenen des Unternehmens. Auf diesem Weg kann ein Diversity Management unterstützen, indem ein wertschätzender Rahmen geschaffen wird. Diversity Management zielt darauf ab, Benachteiligungen zu beseitigen und unterschiedliche Menschen in der Organisation mitgestalten zu lassen. Diversity Management sollte dabei dem*der Einzelnen ermöglichen, in der Gruppe inkludiert zu werden. In gewisser Weise kann man zwei Ziele unterscheiden: zum einen die Anerkennung der Vielfalt und die Wertschätzung der jeweiligen Menschen, zum anderen die Nutzbarmachung von Vielfalt in Unternehmen.
Tatsächlich gibt es – wie oben zitiert – diverse Studien, die einen starken Nutzen von Diversity für Organisationen belegen. Diversität verbessert die Zufriedenheit und Mitarbeitermotivation durch individuelleres Eingehen auf Bedürfnisse der Mitarbeitenden, verringert die Fluktuation und Fehlzeiten durch höhere Mitarbeiter-Bindung und bessere Work-Life-Balance. Zudem verbessert Diversität die Arbeitsatmosphäre. Mit mehr Diversität wird auch das Miteinander im Unternehmen toleranter. Dadurch steigt die Attraktivität als Arbeitsgeber:in.
Auch die Qualität von Entscheidungen verbessert sich. Dies zeigt sich aus der Datenanalyse von Cloverpop, einem Softwareunternehmen, welches Entscheidungsfindungen in Organisationen unterstützt[xvi]: Ausschließlich männliche Teams treffen in 58 % der Fälle bessere Entscheidungen als Individuen. Bei geschlechtlich gemischten Teams sind es 73 % und Teams mit einer Mischung von Altersgruppen und Herkünften treffen in 87 % der Fälle bessere Entscheidungen als Individuen. Auch andere Studienergebnisse zeigen mit großer Mehrheit in eine Richtung: Je gemischter ein Team ist, desto krisenresistenter, erfolgreicher und innovativer ist es.
Einführung eines Diversity Managements
Zuallererst: Wenn Sie sich dem Thema Diversity Management verstärkt annehmen wollen, müssen Sie das Rad nicht neu erfinden. Abschauen und von Fehlern und Erfolgen anderer lernen ist erlaubt! Bei der Einführung eines Diversity Managements kann ein erster Schritt darin liegen, konkrete Ziele zu definieren und einzelne interne Prozesse hinsichtlich bestehender Exklusionsmechanismen zu überprüfen. Darauf aufbauend sollte eine ganzheitliche Strategie erarbeitet – einzelne Maßnahmen verpuffen sonst schnell – sowie eine Erfolgsmessung definiert werden.[xvii]
Die Praxis zeigt zudem: verpflichtende Soll-Programme im Diversity Management, beispielsweise für alle Mitarbeitende verordnete Trainings, führen nur selten zum Erfolg. Teilnehmende fühlen sich eher gedrängt sich verändern zu müssen und gehen in Abwehr. Vielmehr ist ein Diversity Management erfolgreich, wenn es freiwilliges Engagement institutionell fördert, unterschiedliche Menschen in Organisationen miteinander in Kontakt bringt und durch Transparenz von Diversity-Indikatoren das Gefühl der sozialen Verantwortung anspricht.[xviii]
Zudem ist es bei der Initialzündung wichtig ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Diversity Management kein „softes Add-On“ ist. Dies erreicht man beispielweise, indem das Diversity Management mit Ressourcen und Verantwortlichkeit ausgestattet wird. Daher muss die Frage geklärt werden, wo das Thema in der jeweiligen Organisation angesiedelt wird. Hierbei ist wichtig, dass die Geschäftsleitungsebene mit im Boot ist und gleichzeitig auch alle Hierarchieebenen einbezogen werden: Auf Leitungsebene des Unternehmens sollte die gesamte Strategie und alle Prozesse hinsichtlich der Förderung von Vielfalt geprüft werden. Auf Teamebene gilt es, Führung und die Zusammenarbeit Diversity-freundlich zu gestalten. Und schnell wird deutlich, dass es auf Ebene jeder*jedes Mitarbeitenden ein Bewusstsein für die Potentiale von Vielfalt benötigt, um die Grundhaltungen in den Werten und im Verhalten verankern zu können. Denn: Diversity Management ist ein Querschnittsthema und wird idealerweise auch als solches eingeführt.
[i] Statistisches Bundesamt (2017): Mikrozensus.
[ii] Dalia Research 2016: EuroPulse-Umfrage
[iii] Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2017: Studie „Out im Office?!“
[iv] McKinsey & Company (Hrsg.) 2018: Delivering through Diversity.
[v] Ernst&Young GmbH (Hrsg.) 2016: Diversity in Deutschland, S. 26 ff.
[vi] Hucke, Veronika 2017: Mit Vielfalt und Fairness zum Erfolg. Praxishandbuch für Diversity und Inclusion im Unternehmen, Wiesbaden, Springer Gabler, S. 39 ff.
[vii] Krell, Gertraude/Ortlieb, Renate/Sieben, Barbara 2018: Gender und Diversity in Organisationen. Grundlegendes zur Chancengleichheit durch Personalpolitik, Wiesbaden, Springer Gabler, S. 39 ff.
[viii] AllBright Stiftung gGmbH (Hrsg.) 2018: AllBright Bericht. Die Macht der Monokultur – Erst wenigen Börsenunternehmen gelingt Vielfalt in der Führung, Berlin, S. 7.
[ix] Abdul-Hussain, Surur/Hofmann, Roswitha: Dimensionen von Diversität (2013), URL: https://erwachsenenbildung.at/themen/diversitymanagement/grundlagen/dimensionen.php (Stand: 06/2019).
[x] Charta der Vielfalt 2019: Die Diversity-Dimensionen, URL: charta-der-vielfalt.de/diversity-verstehen-leben/diversity-dimensionen/ (Stand: 06/2019).
[xi] Gardenswartz, Lee/Rowe, Anita 1995: Four Layers of Diversity
[xii] LEAD (4/2018): „Arbeitgeber, positioniert euch für Vielfalt!“, URL: https://www.lead-digital.de/arbeitgeber-positioniert-euch-fuer-vielfalt/ (Stand: 06/2019).
[xiii] Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2016: Diskriminierungserfahrungen in Deutschland
[xiv] Facebook Learning & Development: Managing Bias, URL: https://static1.squarespace.com/static/55ff5070e4b0333acc0895c0/t/585d4818d2b857186d567ab8/1482508313343/Managing+Bias_Facebook.pdf (06/2019)
[xv] s. ebda.
[xvi] Cloverpop (2017): Hacking Diversity with Inclusive Decision Making, URL: https://cdn2.hubspot.net/hubfs/2095545/Whitepapers/Cloverpop_Hacking_Diversity_Inclusive_Decision_Making_White_Paper.pdf (06/2019)
[xvii] Charta der Vielfalt (Hrsg.) 2017: Diversity Management. Mehrwert für den Mittelstand. Berlin, S. 21.
[xviii] Dobbin, Frank/Kalev, Alexandra 2016: Why Diversity Programs Fail, erschienen in: Harvard Business Review, July-August 2016.